Schoningen

Schoningen, das ist mein eigentlicher Geburtsort, der Ort meiner Kindheit, der Ritter-, Cowboy- und Indianerspiele im endlosen Netz von Feld- und Wirtschaftswegen, bergauf und bergab in der Feldmark, durch Wiesen und Wälder. Ein Weltreich für Kinder! Schoningen vom AllenbergDas Schoninger Tal zwischen dem Allenberg im Westen, dem Sömmerling, Dingberg und Hohem Rott im Osten, mit Ausnahme des Sömmerlings in den Höhen von dichtem dunklen Wald bestanden, von Norden nach Süden in den lichten Wiesen von der verträumten Ahle und dem munteren, kalten Rehbach durchflossen, mit ihren Quellen weit in den Tiefen des Sollings. Der Rehbach mündet noch vor der Mühle in die Ahle, die dann, nachdem sie in zwei Armen den Wiesen- und Gartenteil des Dorfes durchflossen hat, die Aue unterhalb des Allenberges mit ihren Koppeln und Weidehäuschen durcheilt und schließlich jenseits der Bahnunterführung der eingleisigen Eisenbahnstrecke nach Karlshafen und Ottbergen in die Schwülme fließt. Vernawalshausen, der nächste Ort, wenn man dem engen Schwülmetal folgt, gehört schon zu Hessen, die Landesgrenze ist aber noch näher, erst links, dann rechts der Bahnlinie und dann zur Nordecke des Allenberges zurückspringend. Etwas unheimlich war es dort, doch die glänzenden Geleise des lupinenbestanden Bahndamms, die sich in der flirrenden Hitze über dem Schotterbett scheinbar in Luft auflösten und die singenden Telegraphendrähte hatten eine magische Anziehungskraft. Aufgeschnappte Geschichten vom Schmuggel über die existente, aber nicht real sichtbare Grenze und dem 'Hessenkloppen' der jungen Burschen taten ein Übriges. Auf dem Allenberg wurde auch das Osterfeuer des Unterdorfes möglichst erst dann entzündet, wenn nach einer Serie, zur Täuschung eingesetzten hell auflodernden Strohfeuern, die im Oberdorf das gleiche Spiel Betreibenden sich vielleicht voreilig entschlossen ihr eigentliches Osterfeuer zu entfachen, worauf sie nach den geltenden Spielregeln verloren hatten. Wir Kinder konnten dann unsere uns überragenden Fackeln aus zu zwei Dritteln längs gespaltenen und durch Holzsplieten gesperrten Fichtenholzstämmchen, im hauseigenen, gemauerten Backofen nach der Osterbäckerei getrocknet, kaum noch halten, um sie endlich am Osterfeuer zu entzünden. Gegenüber an den Hängen des Oberdorfes sah man viele kleine Lichtpünktchen, die wie Funken irrlichternd hin- und herwanderten.

Vom Dingberg holten wir unser Brennholz, irgendwo im Wald, ein Festmeter Holz; sauber nebeneinander und übereinander gelegte Rundhölzer, durch in den Boden gerammte und nochmals gesicherte Stützhölzer vor dem Davonrollen gesichert und durch eine eingeschlagene Nummer als der uns zugehörige ausgewiesen. Nach dem Abtransport mit einem organisierten Pferdefuhrwerk aus der Nachbarschaft oder unseren Verwandten, wurde das Holz mit einer Bandsäge, montiert auf der Ladefläche eines umgebauten kleinen Lastwagens, der durch seinen Holzvergaser-Motor Selbstversorger war und von Ort zu Ort und von Haus zu Haus fuhr, in handliche, etwa 25 cm hohe Holzklötze geschnitten. Mit einer langstieligen Axt erfasste man nun den Klotz mit einem kräftigen Hieb in der Mitte hob ihn hoch, drehte ihn während des Aufschwunges schon soweit, daß wenn die Axt mit ihrem stumpfen Ende voran, beschleunigt noch von der Masse des Klotzes, auf den Hauklotz krachte, links und rechts die Holzklotzhälften herunterfielen. Nochmals in der gleichen Weise halbiert, mit einem Beil dann in Holzsplieten zerlegt, trocknete schließlich das in einer Holzfinne aufgestapelte Feuerholz. Mit Ausnahme des Einsatzes der nomadisierenden Bandsäge, waren es Arbeiten, die so seit Jahrhunderten in gleicher Weise abliefen.

Das Sammeln von Schafwolle, das vorbeidrängende Schafherden an dem Stacheldraht der Weidezäune hinterlassen hatten, war weniger heroisch und durch die Nachkriegszeit bedingt, wärmte uns aber gesponnen und gestrickt als Handschuh, derber Socken, Schal und Mütze bei den Schlittenfahrten auf dem Hagenweg unterhalb des Allenberges. Schaansche Heubälger, wurden auch wir genannt, des Reichtums an Wiesen wegen, der den Schoningern nachgesagt wurde. Man war von Schaningen, nicht ut Schaningen. Die Anderen waren ut Verljehusen oder ut Schenhaugen. Die Einwohner der umliegenden Orte unterstrichen dieses von immer augenzwinkernd, so als sei es irgendein Adelsprädikat, das der Herkunft aus Schoningen anhaftete. Innerhalb von Schoningen gehörte zur knappen Frage nach der familiären Zugehörigkeit: "Wen hörste?" auch noch vierzig Jahre nachdem er sein Heimatdorf in Richtung Ruhrgebiet verlassen hatte, die wohlverstandene Antwort: "Muntees Schorse!" Das war Georg Mummenthey, mein Großvater. Neben einer Reihe von Großonkeln und Tanten der Mummentheys und der angeheirateten Familien gab es noch den legendären Schulmeister Carl Philip Mummenthey, der ab 1769, nachdem er zunächst als Adjunktus eingesetzt war, die Schoninger Kinder unterrichtet hatte, dessen weitere Herkunft, also Mutter und Vater, Geburtsort und Geburtstag im Dunkeln lag.

Es gibt verschiedene Gründe, daß diese Daten in Vergessenheit gerieten oder damals nie bekannt wurden. Carl Philip hat 1762 in Delliehausen, am Ort seiner ersten Lehrerstelle, nach dem Tode von Vater und Mutter, 1761 und 1762 in Uslar, seine Braut Justine Fricke geheiratet und in Delliehausen wurde 1762 ihre Tochter Melusine und 1765 ihr erster Sohn Johann Carl geboren. Merkwürdigerweise steht in der Traueintragung 1762 im Kirchenbuch zu Volpriehausen über den Bräutigam "anjetzo zu Schoningen". Aber noch am 27.11.1764 schreibt der Kirchenrat Hake aus Hannover an den Superintendent Andreas Wilhelm Hagemann in Hardegsen einleitend über die geplante Einsetzung: "....Als nun dem von Euch primo loco anhier präsentierten Carl Philip Mummenthey bisherigen Schulmeister zu Delliehausen {!!}Kirchspiel Volpriehausen, ....." und am 29.01.1765 ergeht ein Bericht des Superintendenten Hagemann ad Consistorium über die Vorgänge in der Schoninger Kirche anläßlich der Introduction des Schuladjunctus Carl Philip Mummenthey und die nicht eindeutige Haltung des Schoninger Pastors Ehrwürden Luhe.
Darüber soll bald berichtet werden, nachdem anhand der nun bekannten Daten die vorangehenden Lebensabschnitte des am 1.2.1727 geborenen Carl Philip Mummenthey rekonstruiert sind. Der Vater Johann Jobst Mummenthey, am 4.12.1688 in Hannover getauft, heiratet am 24.07.1713 in Hannover (Schloßkirche), getraut vom Oberhofprediger Erythropel, Dorothea Elisabeth Egestorff . Von den Kindern ist nur Johann Ernst Angelo in Hannover geboren und am 18.2.1714 in der Schloßkirche getauft. Die 1717 (Johann Herrmann, + 05.09.1807 in Hannover), 1721 (Sophia Dorothea Elisabeth, + 14.12.1781 in Uslar), 1725 (Anna Charlotte, +23.06.1749 in Uslar) geborenen Geschwister Carl Philips kommen, wie er selbst, an den nicht bekannten Einsatzorten, des zuletzt in Hemeln (Hannoversch-Münden) amtierenden Licentkontrolleurs zur Welt. Johann Ernst Angelo wurde wie sein Vater Lakai am hannoverschen Hofe, ebenso sein Bruder Johann Herrmann, der dann aber über dreißig Jahre, schließlich mit 71 Jahren von den Reiseverpflichtungen entbunden, als Quartalskurier zwischen Hannover und London hin- und herreiste.

Bei der Taufe des zweiten Zwillingspärchens seiner unglücklichen Schwester Anna Charlotte tritt Carl Philip 1749 erstmals in Uslar, einem kleinen Amtsstädtchen, als Pate auf. Anna Charlotte hatte ihren Mann, den Gastwirt im Linnenkruge, Johann Hartwig Charpentier aus Uslar, in Hemeln geheiratet. Sie stirbt mit 24 Jahren einen Monat nach der letzten Geburt. Eines der Neugeborenen stirbt zu ihren Lebzeiten nach 10 Tagen, das andere überlebt sie um drei Monate. Drei Monate vor dieser Geburt war das zweite der erstgeborenen Zwillinge gestorben. Als Paten treten neben Carl Philip, der Mutter der Kindbetterin, dem Ölmüller Hepe, dem Musikanten Geelhaar und dem Musikantengesellen Charpentier aus Northeim, einem Bruder des Ehemannes, auch der Nachrichter Herr Görtler auf; Nachrichter, verhüllend für den Uslarer Henker, da er sein Amt nach dem Richter ausführte.

1752 ist Carl Philip als Pate bei einem Kind des Oberamtmanns Schuster im Uslarer Kirchenbuch eingetragen, 1756 ein weiteres Mal. Der Oberamtmann Schuster, dessen Name einigen Schoningern später ein gemeines Wortspiel zu einer hinterhältigen Unterstellung lieferte, wird bei der Wahl der Paten nicht so in Not gekommen sein, wie die unglückliche Charlotta! Ihre Schwester Sophia Dorothea Mummenthey heiratet 1753 in Hemeln Johann Christian Stubenrauch aus Uslar. Er ist der Sohn des Schoninger Schulmeisters Christoph Andreas Stubenrauch, dessen Nachfolger Carl Philip Mummenthey später wird. Beim Sohn Sophias und Johann Christians, Carl Andreas Stubenrauch, get. 03.03.1758 in Uslar, ist neben dem Großvater auch Carl Philip Mummenthey Pate. Ob ihn der Schwiegervater seiner Schwester auf die Schulmeisterlaufbahn gebracht oder er schon vorher als Hauslehrer unterrichtete, jedenfalls begegnen wir ihm, wie schon berichtet, in Delliehausen als Schulmeister wieder.
Die Kanten und Sprünge des Lebens hinterlassen nicht nur Narben im Bewußtsein der Betroffenen sondern erzeugen zuweilen auch einen Niederschlag in Form von Aktennotizen oder amtlichen Berichten. So findet sich unter Insp. Uslar, Bestand Schulakten 333.1, Schoningen spez. ein Karton mit Briefen verschiedener Adressanten und Adressaten, aus denen ein verbittertes Ringen um die Entscheidungsgewalt bei der Besetzung vakanter Schulmeisterstellen hervorgeht. Jedenfalls war der Obrigkeit einiges schon vorher zu Ohren gekommen und die Betreffenden waren gewarnt, respektive unter Strafandrohung verwarnt worden. Die Rollen sind gut verteilt: ein Pfarrer, der einen anderen Kandidaten vorzieht, ein Bürgermeister, der eigentlich nichts gegen den amtlichen Vorschlag hat, aber glaubt, der Mund seiner Gemeinde sein zu müssen, ein Superintendent, der aus später bedauerten Gründen, nicht selbst in Schoningen erscheint und so dem wankelmütigen Pastor das Feld überläßt und die Uslarer Amtleute, denen zunächst der Überblick fehlt. Auszubaden hat es der Denominatus, denn bei der feierlichen Amtseinführung in der Schoninger Kirche kommt es zum Eklat.Schoninger Kirche
Im schon erwähnten Bericht an das Consistorium schreibt der Superintendent Andreas Wilhelm Hagemann "...gleichwohl aber haben die Bauern sich dahin untereinander beredet, daß wenn der Denominatus würde anfangen zu singen, kein einziger von der Gemeinde, oder denen à deffern wenigen Knaben mitsingen sollte, welches Mitsingen sie auch einigen ohngefehr in der Kirche gegenwärtigen Fremden unter harten Dräuworten verboten; wodurch drum dieser Erfolg notwendig eintreten müssen, daß der schüchtern gemachte Vorsänger in der Melodei irre worden und nur durch Hülfe des Custodis von Volpriehausen, mit welchem er in einem Kirchspiel auch gedienet, ist vor dem Verstummen gewahret blieben."

Als nun die Gemeindevorsteher, wie erwartet, ihren Widerspruch begründen, gibt der zögerliche Pastor "...durch eine gefällige Dilation der Gemeinde Eigensinn völlig Raum." Die abermalige Anweisung des Superintenden zur Amtseinführung wird von der Gemeinde durch einen Gang nach Hannover und die Behauptung der Zurückgekehrten, ein "Suspensium loßgewirket zu haben" gekontert. Schließlich spricht der Mund der Gemeinde, "welche keinen Schuhputzer (weil Mummenthey ehemals bei Herrn O.A.Sch. servieret) zum Schulmeister haben wollte" seine Beweggründe aus.
Wir wissen wie die Sache ausgegangen ist. Für den Betroffenen und die Beteiligten mag es sich dahingeschleppt haben. Ende Februar 1765 gibt der Präsident des Consistorial- und Kirchenrates L.A. von Hake, Hannover, seinem Hardegsener Superintendenten den Rat, selbst in Schoningen die Introduktion vorzunehmen oder einen vertrauenswürdigen anderen Pastor dafür zu gewinnen. Das wird dann irgendwann geschehen sein und der neue Schulmeister hat seinen vollen Dienst in einem Amtssitz angetreten, von dem ein Vorgänger (Stephan Weber) etwa hundert Jahre früher vorfand, was sich bis zum Neubau eines Schul- und Küsterhauses im Jahre 1772, nicht verbessert haben würde und in einem Verzeichnis der Äcker und Wiesen, die zur Schulstelle gehörten, sowie des Korngefälles der einzelnen Acker- und Kötnerhöfe und einem Schulgeld von 18 Mariengroschen pro Kind und Jahr so beschrieben wird : "Das Schul-oder Opperhaus so klein, ist 1581 erbaut, auf 4 hohe Wände, in die Breite 3 Spanne in die Länge 4 Spanne {ein Spann = 1,92 m} so gehört auch ein kleiner Graßhoff lieget hinterm Kirchhofe an des Herrn Pastoris Baumhofe und ein gar geringer untauchlicher Kohthoff, liegt unterm Bruche unter Hanß Buchen Kohthoffe und ein Koven {Schweinestall} lieget hinterm Schulhauße am Kirchhofe dabey." An anderer Stelle heißt es noch: "Bei der Opferei gehören 3 1/2 Morgen, aber alle miteinander gar schlecht Land...". "Alle Neujahr wird, Neujahrsgeld gesammelt, welches der Herr Pastor und Schulmeister miteinander gleich teilen. Träget dem Schulmeister ungefähr ein Rth.", Schoninger Chronik a.a.O. Dies erinnert mich an den in meiner Kindheit zu Neujahr ausgeführten Heischebrauch, bei dem meine Schwester und ich vor den Haustüren vor allem der mit uns verwandten Schoninger das traditionelle Heischelied anstimmten, das mit den Zeilen: "Oltjohr, Neitjohr moket mek den buil schwor, oben in de Höchte, hänget viele Wöste, de klanen lotet hängen, de chroten chivet mek", begann und wenn sich hinter der Tür nichts rührte mit der etwas rätselhaften Aufforderung "Slöttelken up dem Deike, Soundso sind so reike, Soundso sind so hübsch und chlatt, chivet mek huite ok mol wat" fortgesetzt wurde. Neben Naturalien gab es, wie in den Zeiten des Schulmeister Weber, aber auch Geld.

Die Schoninger Chronik ergänzt dann weiter: "Das im Jahre 1772 erbaute Haus ist freilich auch noch lange im Innern in einer Verfassung gewesen, daß ein Geschlecht unserer Tage es kaum bewohnt haben würde. Nach dem Bericht des Lehrers Linde {Adjunktus und Nachfolger C. Ph. M.}soll es noch im Jahre 1796 in rohem Lehm gestanden haben. Das Haus umfaßte damals eine Lehrerwohnung und ein Klassenzimmer." Die Zahl der Schüler wuchs von etwa 70-80 Schülern um 1736 auf 137 Schüler zu Michaelis 1793. Der Schoninger Pastor Lauenstein geht in den "Heimatglocken, Gemeindblatt für den Solling", a.a.O. Was von neun Jahren eingenommen näher auf den Tätigkeitsbereich der Schulmeister ein: "Vom Jahre 1747 bis 1769 versah Andreas Christoph Stubenrauch {der Vorgänger von C. Ph. M.}den Kirchen-und Schuldienst. Eine Abschrift seiner Ernennungsurkunde, die erste, die noch vorhanden ist, liegt noch vor, aus der hervorgeht, daß er von dem damaligen Superintendenten Boden in Uslar vorgeschlagen wurde. Es heißt in der Ernennungsurkunde, daß er die ihm obliegenden Amtspflichten in allen Stücken gehörig zu beobachten habe, daneben aber - und das deutet darauf hin, daß das Hauptamt offenbar noch der Kirchendienst war - daneben aber auch die dortige Schuljugend im Lesen, Schreiben und Rechnen, insonderheit aber im Christentum, getreulichst unterrichte, weniger aber nicht diejenigen Kinder, welche das sechste Jahr ihres Alters noch nicht erreicht und von ihren Eltern dennoch schon zur Schule gesandt werden, bis zur Erlangung des 6. Jahres ohne Entgeld informieren." Das abgebildete "Verzeichnis, was von 9 Jahren eingenommen" mit der Unterschrift Carl Philip Mummentheys spricht für sich. Ein mittlerer Jahresverdienst von 14 Talern für eine fünfköpfige Familie. Sein Bruder Johann Herrmann, 1798 von seiner Reisetätigkeit als Quartalskurier entbunden, bekam für seine vieljährigen Dienste und als Ausgleich jährlich eine außerordentliche Zulage von 50 Talern. Die Arbeit eines Schulmeisters war wenig anerkannt und noch schlechter besoldet. Aber auch 70 Jahre später hat sich noch nicht viel geändert, der Solling noch immer eine wenig begüterte Landschaft.

Der Schoninger Chronik entnehme ich hierzu aus den Aufzeichnungen von August Schomburg vom 1. Jan. 1940 die Rubriken Schule, Trachten und Entlohnung der Landarbeiter: "Ich bin mit dem 6. Jahre zur Schule gegangen, in der damals 2 Lehrer unterrichteten. Die Schule von damals, 1870, wurde geschrieben, war noch nicht so, wie es die Welt von heute gewohnt ist. Wer Lust zum Lernen hatte, konnte auch da schon was lernen, wer es nicht hatte, blieb eben, wie er war. Es gab genug, die kaum lesen und schreiben konnten, wenn sie aus der Schule kamen. Das Schulgeld mußte von den Eltern der Kinder bezahlt werden; es betrug meistens einen halben Thaler vierteljährlich. Das war nach späterem Gelde 1,50 Mark. In den Wintermonaten mußte jeder Schüler jeden Morgen einen Splitter Holz mitbringen oder es mußten dafür 75 Pfennig monatlich bezahlt werden. Große Ansprüche an Kleidung und Pflege war in den Jahren noch keiner gewohnt. Im Sommer gingen die meisten barfuß, im Winter die meisten mit Holzschuhen in die Schule. Kopfläuse waren keine seltene Erscheinung bei vielen; die wurden mit einem kleinen engen Kamm auf die Schiefertafel gekämmt, wo man sie gut sehen konnte und dann tot knickte. Ein Taschentuch kannte man überhaupt nicht. Die erste Mütze gab es erst, wenn man konfirmiert wurde, ebenso die ersten Sonntagsstiefel. Der Konfirmandenanzug wurde vielfach geborgt, ebenso bei den Mädchen die schwarzen Kleider."
"Die gewöhnliche Tracht der Männer in den siebziger Jahren und vorher des 18. Jahrhunderts war des Sonntags und Alltags der blaue Kittel von Leinen, dazu in der wärmeren Jahreszeit eine ungefärbte Leinenhose, die durch das Waschen immer weißer wurde. Im Winter trug man eine Beiderwandshose und Jacke, man sagte Unterkaput dazu, darüber einen Kittel. Buckskin und andere Sorten Zeug waren in der Zeit ziemlich teuer und auch keine Mode. Die Frauen und Mädchen hatten Beiderwandsröcke und -jacken dazu. Die ganze damalige Tracht bestand nur aus Leinen und Beiderwand, alles selbst gesponnen und gewebt. In jedem Hause war ein Webstuhl. Wir haben jetzt auch noch einen stehen, der noch gut erhalten ist. Zu hohen Festligkeiten, Hochzeiten und dergleichen hatten unsere Vorfahren feine blaue oder schwarze Tuchanzüge und die Frauen schwere seidene Kleider mit Goldhauben."

"...Andere gingen nach der Steimke in Tagelohn, verdienten den Tag 80 Pfennig, ohne Essen oder sie droschen da mit dem Flegel; jedesmal 4 Mann zusammen, um den 16. Scheffel, d.h. 15 Scheffel bekam der Gutsherr, und der 16. Scheffel war der Lohn fürs Dreschen {1/4 Scheffel für jeden der Viere!} oder , wenn die Frucht schlechter ausgab, so bekamen sie auch wohl den 12., 13. oder 14. Scheffel als Lohn. Da wurde nicht viel bei verdient. Die Leute hatten kaum satt eitel Brot zu essen. Die Knechte verdienten in den Jahren ungefähr 8 bis 10 Thaler mit den üblichen Zugaben als Schuhe, Anzug, Leingesäet und anderes mehr."

Hundert Jahre früher wird es im strukturschwachen Solling mit der saisonabhängigen Feldarbeit nicht besser gewesen sein und der noch in Delliehausen geborene Sohn Carl Johann läßt sich, statt auf der Steimke schlecht bezahlt und immer nur kurzfristig zu dienen, am 10. Februar 1782 mit 17 Jahren im 9. Infanterieregiment in der Kompanie des Hauptmann Hillmers vereidigen. Der Marquetier dieser Kompanie Johann Christian Bergheim heiratet am 5. November 1782 Carl Johanns Schwester Melusine. Vier Tage nach der Hochzeit - wie der Pastor in dem Taufeintrag vermerkt - wird ihre Tochter Christine Elisabeth geboren, die schon im Dezember des folgenden Jahres an den Blattern stirbt und in Schoningen beerdigt ist.
Im Schulhause wohnt von den drei Kindern des Schulmeisters nur noch der 1769 in Schoningen geborene, dreizehnjährige, August Fridrich. Seine Paten waren der kgl. Quartiermeister Wendt und "die Frau Kastra ? aus der Mühle". Der Pastor unserer Tage, der den Auszug anfertigte, war sich nicht ganz sicher, daher das Fragezeichen; vielleicht heißt es auch "die Frau Basten aus der Mühle", also die Frau des "Johann Christoph Bast des gewesenen Müllers zu Schoningen "(1794). So oder so, die Mühle spielt auch später noch eine besondere Rolle im Leben August Fridrichs!
Nun nimmt die Häufigkeit der Schreiben ab und erreicht einen letzten Höhepunkt ab 1790, als es um die Einführung der Industrieschule und den Nachfolger Linde geht. Auch hier sitzt der arme Schulmeister Mummenthey zwischen allen Feuern, amtlicher Schlendrian, Behördenwillkühr, üble Nachrede und unlauteres Taktieren der Gemeinde wiederholen sich. Wie 25 Jahre zuvor gibt es zwischen Schulmeister und Adjunktus verschiedene Auffassungen über die Aufteilung des Schuldienstes und etliche Schreiben aller Parteiungen den jeweiligen Instanzenweg hinauf und hinunter. Der umtriebige Adjunktus Linde, der sich für seine Kinder um Paten vom Pastor bis zum Consistorium bemühte und fleißig mit der Industrieschule warb, wofür der für ihn gebaute Anbau auch zur Unterbringung seines Werkzeugs vom Pastor für gut befunden wurde, hatte damit aber nicht die Gemeinde auf seiner Seite. Pfingsten 1787 wurde die erste Orgel in der Schoninger Kirche geweiht und es lag auf der Hand, daß ein Nachfolger des alten Schulmeisters, die Orgel sollte schlagen können.

In einem der Briefe der Vorsteher der Gemeinde zu Schoningen, an dessen Kopie sich der Schreiber durch unverschämte Streckung des Textes bereicherte, stellen sie ihrem alten "Schulmeister Mummenthee, über welchen wir bislang keine bedeutende Klagen führen können", ein passables Zeugnis aus, nur um die Entscheidung zugunsten des Adjunktus Linde, aufzuschieben, der "nicht einmal die Kirchen-Uhr zu stellen versteht". Sie beschreiben aber auch die Probleme, die das enge Schulhaus für zwei Familien bringen würde. Ende 1791 weist das Konsistorium das Amt Uslar an "auf angemessene Weise alle etwa zu befürchtende Widersetzlichkeit der Gemeinde gegen die Anstellung des adjungierten Schulmeisters Linde zu verhüten...."

Irgendwie ist dann auch der junge Mummenthey, August Fridrich, zwischen die Fronten geraten. In einem Brief vom 9. Jan. 1792 schreibt der Schoninger Pastor Schmidt an den Superintenden Grupen:
"...Bey seinem Umgang in der Mühle, der ihm besonders zur Last gelegt wird, muß ich bemerken, daß die Müllerin allhier {die Frau Basten!} auch zwei Söhne hat, deren Umgang den jungen Mummenthey doch keine Schande, gewiß nicht nachtheiliger sein wird als wenn er mit jungen Bauernburschen umginge; man also wo man sonst keinen Beweis von strafbarer Aufführung von ihm hat, ihn wegen seiner Besuche in der Mühle ihn noch nicht gleich als einen liederlichen Menschen verdammen kann."

hier mit dem beklagten "Umgang in der Mühle" auf den Busch klopfte, hatte vielleicht jemand anderes im Auge als die Söhne der Müllerin, geeigneter vielleicht noch, einem jungen Menschen auf perfide Weise aus Neid und Mißgunst, etwas anzuhängen.
Es hat nur nicht verfangen: Am 16.3.1794 sind in Schoningen bei der Taufe von Carl August Mumenthey, Sohn des Corporals Johann Carl Mumenthey, als Taufpaten eingetragen: der Schulmeister August Mumenthey aus Nienhagen und Johanne Justine Basten. Noch im gleichen Jahr, den 11. September " ist August Friedrich Mumenthey Schulmeister zu Nienhagen, ein-eheliger Sohn Carl Philip Mumenthey Schulmeister zu Schoningen mit Johanne Justine Magdalene Basten, einer hinterlassenen - eheligen Tochter weiland Johann Christoph Bast gewesenen Müllers zu Schoningen nach zweimahligen öffentlichen Aufgebot getraut worden", seinem Umgang in der Mühle!
Zwei Jahre zuvor noch hatte Carl Philip Mummenthey in einem verzweifelten Brief Gott und die Welt angerufen:

Hochwürdiger, hochgelahrter Herr,
Hochzuverehrender Herr Superintendent!

Ich ersehe aus Euer Hochwürden Befehle, daß die Verkeimerungen und Verklagen von dem Hh. Pastor noch nicht aufhören, da er doch nun hat was er schon lange gewünschet und glaubte, weil ich beim Königl. Consistor. als ein alter, abgelebter Mann gemacht bin, nun gerne in Ruhe lebte. Und heißet, man kann nicht zwei Herren dienen, man muß den einen lieben, den anderen hassen, und den Schulmeister Linde seinen doppelten Verdienst helfen verdienen, da er hier in Schoningen ist und den Dienst doch nicht verrichtet. Euer Hochwürden hoffe, da ich schon 30 Jahre als Schulmeister gedienet, daß ich Linden sein Knecht nicht mehr zu sein brauchte. Wenn er ein Mensch wäre, der christlich zu leben dächte , so könnte er selber mit mir sprechen, aber der Hochmut leidet es nicht. Und nun ich nicht kann, soll mein Sohn die Dienste verrichten und der da doch ganz ausgestoßen wird hier in dieser bösen Welt, aber der liebe Gott, der verläßt ihn nicht, bin

          Euer Hochwürden
            meines hochzuverehrenden
               Herrn Superintendenten
             untertäniger Knecht
            Carl Philip Mummenthey

Schoningen
d. 22. Merz 1792

Nun, der liebe Gott hat ihn nicht verlassen, den Sohn Carl Philips, er hat - in Gestalt eines leibhaftigen Pastors mit diplomatischem Geschick - die Hand über ihn gehalten. Auch der Adjunctus Linde bekommt nun was ihm zusteht, wie es in der von Pastor Schmidt verfassten und am 15. Februar 1796 über Hardegsen ans Consistorium weitergeleiteten Petition bekundet ist:
"Nachdem der Schulmeister emerit. Mummenthey zu Schoningen am 1ten d. M. mit Hinterlassung einer Witwe verstorben, so habe ich nicht ermangeln wollen, Ew. davon gehorsamen Bericht abzustatten. Der Schulmeister Linde hat seit 1791 diesen Dienst als Adjunctus, jedoch sine succedendi versehen, auf sein Nachsuchen haben Hochderoselben laut Refer. v. 30ten Dez. v. J. sich nicht abgeneigt erklärt, ihm die Successio zu versichern, unter der Bedingung, er sich gefallen lassen würde, die daselbst angefangene Industrieschule ohne Entgelt fortzusetzen..."
Der Schulmeister Linde erklärt auf Befragen, daß er sich in allen Stücken den Verfügungen eines hohen königl. Consistorio unterwerfe, bittet aber in Anbetracht der Zeiten, seiner Familie, wenn sich Gelegenheit dazu finden würde um eine Vergütung, auch wenn es nur 5 Taler seien.
"In diesem Betracht nun, und da derselbe mehrere Jahre die Adjunctur versehen, auch schon vorhero einen kleineren Dienst zu Verliehausen bekleidet, auch wegen der Einrichtung der Ind.-Schule zu Schoningen nicht ohne allen Verdienst ist, auch die Zufriedenheit der Gemeinde für sich hat, zweifle ich nicht, daß Hochderos. gnädigst geruhen werden, ihm die Confirmation auf den itzt
vacanten Schuldienst gn. zu Schoningen zu ertheilen."
Schoningen, von Arenborn gesehenNun mag man sich fragen warum all diese Briefe gewechselt worden sind, auch die Briefe dreißig Jahre zuvor, vielleicht noch mehr böse Worte gefallen sind und Haß gesät wurde in all den Jahren, bevor jemand Feder und Papier bemühte, aus dem manchmal noch der Sand zum Löschen der Tinte herausfällt, als wäre es eben geschrieben, kündend von ländlicher Tristesse und Verzweiflung. Vor bald dreißig Jahren habe ich diese Briefsammlung in der Uslarer Superintendentur entdeckt, meine Eltern haben sie noch aus der deutschen Schrift in ein Schreibmaschinen-Manuskript übertragen - an eine Zusammenfassung und Wertung bin ich sehr spät herangegangen. Es hat etwas mit dem Ort meiner Kinderzeit zu tun, der mir lange Zeit heile Welt und auch Heimat war, die man belächelt und wie die Kindheit abstreift, wenn man ihn, wie man glaubt, leichthin verläßt, um später nie wieder dorthin zurückzukehren. Mit feinen Wurzeln aber ist man noch verbunden und muß sich irgendwann auch ohne Rückkehr damit auseinandersetzen, dieses gebrochene Bild anzunehmen.
Setzen wir nun die Geschichte der Mummentheys in Schoningen mit Johann Carl Mummenthey fort, inzwischen zum Corporal (Unteroffizier) befördert, von dessen Sohnes Geburt wir in einem anderen Zusammenhang schon berichtet haben. Er hat, wie es sonst übel vermerkt worden wäre, vorher geheiratet:
"Schoningen den 28 Julius {1793}
Ist Johann Carl Mumenthey Gefreiter unter dem 9ten Infanterie Regiment, von der Compagnie des Kl. Hauptmann Hilmers, ein eheliger Sohn des Schulmeister zu Schoningen Carl Philip Mumenthey, mit Sophie Luise Kerl, weiland Johannes Kerls gewesenen Einwohners und Handarbeiters zu Schoningen hinterlassenen eheligen Tochter, nach beigebrachten Consens, und zweimahligen öffentlichen Aufgebot getraut worden."
Zwei seiner Söhne sterben in jungen Jahren, Carl August, 1794 geboren, knapp ein halbes Jahr alt an Brustfieber und Carl Just, 1801 geboren, achteinhalbjährig an Scharlach. Die 1796 geborene Tochter Christine Karoline Mummenthey wird von Georg Friedrich Riemenschneider sitzengelassen, der ohne sie nach Amerika auswandert. Ihr 1836 geborener Sohn Ludwig Heinrich August Mummenthey, zunächst Dienstknecht auf der Steimke, der durch längere Verpflichtung als Soldat und Teilnahme an den Feldzügen 1866 und 1870/71 mit dem angesparten Geld das Haus Nr. 58 in der Mühlenstraße kaufte, hat nur eine Tochter, die ordentlich verheiratet, den Namen ihres Mannes an die Nachkommen weitergab!
Aus der Stammrolle des 1. Inf. Regts 1793 - 1803, 6. Comp. Capt. v. Sode Nr. 228 "(Am) 10. May 1798 (in) Osterode vereidigt Gef. Carl Mummenthe geb. (in) Schoningen Amt Uslar 1766 6 Fuss 3 3/4 Z(oll){sic!} Einländer. 1 Frau,- Kinder, vorher im 9. Inf.Regt. 16 J. 3 M. Comp. des Hptm. Hilmers (als) Johann Carl Mummenthee Vaterland Schoningen Amt Uslar. Luth. Zugang 1782, 10. Febr. Masse 6 (Fuss) 3 (Zoll)" geht hervor, daß sich Carl Johann nach mehr als sechzehn Dienstjahren 1798 weiter verpflichtete, vielleicht auch um später auf eine höhere Abfindung hoffen zu können. Wenn nicht er, so hat sein dritter Sohn, der Maurer August Friedrich Mummenthey, 1807 geboren, das Haus 128 - Am Graben - erbaut, von dem es in der Schoninger Chronik heißt: "Die Anbauerstelle war ohne Realgemeindeanteil und Kirchenstellen. Es ist ein zweistöckiges Lehmsteinfachwerkhaus mit kleiner Diele, rechts Wohnräumen und links Scheuneneinfahrt , die nach 1900 zu Stallungen umgebaut wurde. Bis dahin waren die Ställe unter dem Haus, wurden dann aber durch das sich ständig erhöhende Bachbett gefährdet. Das Baujahr ist nicht bekannt. Nach mündlichen Überlieferungen hieß der Erbauer Mummenthey." Meine Mutter hat in der Chronik an dieser Stelle handschriftlich angefügt:
"Hier lebten auch Melusine, Amalie, Dorothee Mummenthey, geb.: 26.5.1838, gest. 25.9.1904
und ihr unehelicher Sohn Ludwig, Georg Mummenthey geb.: 22.X.1859, gest.: 22.I.1949 in Schoningen.
(Vater Klemme)"
Dorothee Mummenthey, einziges Kind des Maurers August Friedrich Mummenthey hat den Vater ihres Sohnes nicht preisgegeben, es gibt eine Bescheinigung des Amtsgerichts Uslar über die amtlicherseits nicht feststellbare Vaterschaft. Sie wird ihren eigenen Kopf gehabt haben, die 'wilde Dorothee'. Durch einen Hinweis auf ihren etwas knapper gefaßten Beinamen "Wilde Doris" wurde noch in meiner Kindheit allgemein ungestümes und ungebärdiges Betragen apostrophiert. Meine Mutter, achtjährig während der Ruhrbesetzung 1923 längere Zeit in Schoningen, war ebenfalls mit ihr verglichen worden, als sie in eiligem Lauf den Kinderwagen mit ihrer Nichte umkippte. Dafür gab es ein paar mit dem Drachtenseel, dem Trageband einer Kiepe, wovon sie uns als Kindern aber nichts erzählte.
Geburtshaus Georg MummentheyDorothee Mummenthey muß ihren Sohn mit Erfolg großgezogen haben, denn Ludwig Georg Mummenthey, Waldarbeiter und später Holzhaumeister, kaufte 1891 das im Oberdorf gelegene Haus Nr. 33a - Im Winkel - "Zweistöckiges Lehmsteinfachwerkhaus mit großer Scheunendiele, links Wohnräume mit besonders kleinem Flur, rechts Stallungen. Das Haus gehörte bis 1891 als 'das neue' zu Haus-Nr. 33. ...Durch Kauf und Pacht gründete er eine kleine Landwirtschaft..."
Hier wurden seine Tochter und die vier Söhne geboren. Er nahm schon an einem der ersten Mummentheyschen Familientage 1922 in Osterode teil, wie es ein altes Foto ausweist. Meinen Urgroßvater, der fast neunzig Jahre alt wurde, sehe ich immer noch, bei einem Besuch bei uns im Schoninger Unterdorf meiner Mutter in den Arm fallen, als sie beim Niederzucken eines Blitzes vor dem Küchenfenster in dessen Richtung deutete. Auf der Abbildung aus dem Jahre 1920, man beachte auch die gelagerten Holzstämme und die sorgsam aufgeschichtete Holzfinne, ist das Dach des Haupthauses noch mit Sollingplatten, dünnen Sandsteinplatten, gedeckt - als sie in den 50er Jahren gegen modernere Dachziegel ausgewechselt wurden, habe ich auch ganz stolz mit geholfen. Es war aber eigentlich selbstverständlich, sich bei solchen größeren Unternehmungen gegenseitig zu unterstützen, oder bei unaufschiebbaren Erntearbeiten nach der Schule einzuspringen. Habe ich doch auch mit guten Erinnerungen viele Tage und Nächte in diesem Haus verbracht, als meine Mutter für längere Zeit im Krankenhaus lag.

Mein Großvater, der älteste der vier Brüder, hatte sein Vaterhaus schon vor Jahrzehnten verlassen, er fand 1909 in Bochum-Riemke Arbeit bei der Eisenbahn. 1913 holte er sich seine Ehefrau aus Schoningen, wo auch die Hochzeit stattfand. Meine Großeltern kamen dann nur noch zu Besuch nach Schoningen, wohin meine Mutter mit uns beiden Kindern 1943 wegen des Bombenkrieges evakuiert worden ist und wo wir dann 13 Jahre wohnten, bis mein Vater eine Wohnung der Sollinger Hütte, seinem Arbeitgeber, in Uslar erhielt. Ich errinnere mich noch immer an mein merkwürdig ungläubiges Erstaunen, wenn im Gespräch mit meinen Großeltern ausgesprochen oder unausgesprochen die Bemerkung fiel, wie sehr sie sich wieder auf die Heimfahrt nach Bochum freuten.

Wie die meisten der Schoninger Familien hatten auch die Mummentheys Opfer der beiden großen Kriege zu beklagen.
Wilhelm Mummenthey, der zweitgeborene Sohn des Holzhaumeisters , fällt im Ersten Weltkrieg, der Enkel Friedrich im Zweiten Weltkrieg. Die anderen in Schoningen ansässig gebliebenen Söhne, von denen der jüngste Beruf, Haus und Hof vom Vater übernahm, der nächstältere, nach einer Zeit als Waldarbeiter, einen ansehnlichen Bauernhof mit dem dazugehörigen Land erwarb und der letzte den Beruf eines Schneiders im eigenen Haus mit einem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb verband, hatten ausschließlich Töchter.
So ist der Name Mummenthey in der männlichen Linie nach etwas mehr als 220 Jahren seit 1989 in Schoningen ausgestorben. Wenn auch gestrenge Genealogen die Nase rümpfen mögen, über die Weitergabe des Namens durch die weibliche Linie, so waren es gerade die unehelich Geborenen oder deren Kinder, die ihr Leben erfolgreich meisterten und dem seltenen Namen noch etwas Lebenszeit gaben.

Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren wohne ich nun wieder im Calenberger Land, in dessen Dörfern Lüdersen, Holtensen, Harkenbleck, Hüpede, Oerie, Jeinsen, (Lobke), Gestorf und Hiddestorf seit 1384 Mummentheys lebten und in der Stadt Hannover, woher, ununterbrochen zurückverfolgbar bis 1592/1603, die Mummentheys einst auch nach Schoningen kamen.