Harkenbleck, Ort der rauschenden Quelle

Harkenbleck hatte ich schon einige Male besucht. Mit dem Auto in alle Richtungen durchfahren, den Wagen irgendwo geparkt, zu Fuß die Straßen und Wege abgegangen: immer einen Blick vorwärts auf große und kleine Bauernhöfe und Häuser und einen Blick rückwärts gewandt in der Frage, wo sie wohl gewohnt haben mögen; so als könnte man es heute noch erahnen.

Die Harkenblecker Kapelle kann man nicht verfehlen. Nicht zu übersehende Schilder des rührigen Kapellenvereins umringen den Suchenden. Schon stehe ich vor dem malerischen Gebäude aus kräftigen Bruchsteinen mit einem Fachwerkgiebel und öffne etwas beklommen die kleine Pforte, durch die ein kurzer Weg mich zum Eingang der Kapelle leitet. Schade, die niedrige Tür ist verschlossen, ein Blick nach oben - die Jahreszahl 1412. Kapelle HarkenbleckIm Kornregister von 1425/30 sind sie aufgeführt, nach denen ich auch jetzt suche. Die Enttäuschung beim Durchblättern, beim zuerst aufgeschlagenen Ort Lüdersen, spüre ich noch heute. Und dann Harkenbledemummentey, lutteke mummentey, tileke mummentey, drei Namen zugleich!

Im Schaukasten an der Einfriedung lädt der Verein zu einem Kapellenfest nach Harkenbleck ein. Ich werde kommen, der Termin ist schnell notiert. 

An langen Zäunen weit von den Wirtschaftsgebäuden entfernt, Bauerngärten am Rande und rostendes Ackergerät, führt ein Weg hinaus in Richtung Arnum. Der Blick weitet sich und wird bald von Apfelbaum zu Apfelbaum in Richtung Deister gezogen. Weit ist das Land zwischen Leine und Deister, weit und eben, daß man sich fragt, wodurch es so anrührt.

Im Mittelpunkt des Kapellentages im Juli 1999 steht das nun zugängliche Gebäude:

„Die 6,8 m breite und 10,0 m lange Kapelle hat unter dem Erdgeschoß eine große flachüberwölbte mannshohe Gruft mit einem aus dem 19. Jahrhundert stammenden Eingangsbau. Der Andachtsraum hat gleichmäßig drei Fuß starke Wände, die in 3,1 m Höhe einen umlaufenden Absatz von 20 cm als Auflage für die ehemalige Balkendecke haben. Die Höhe des Obergeschosses betrug rund 2,5 m. Die sicherlich früher vorhanden gewesenen Steingiebel wurden im frühen 17. Jahrhundert durch einen neuen Dachstuhl mit Fachwerkgiebeln und Krüppelwalmen ersetzt, der mit reich geschmückten Konsolen über das Mauerwerk auskragt. Dadurch erhält die Kapelle ein bisher ungewohntes malerisches Gesicht. Das wehrhafte Bild ist damit verschwunden. Der Eingang auf derSüdseite mit dachartig ansteigender Unterseite trägt im Sturz in gotischen Minuskeln die Jahreszahl 1412. Die Fenster der Südseite sind im Nachmittelalter vergrößert worden, die der Nordseite stammen von 1863, nur die zugesetzten Scharten des Erd- und Obergeschosses zeigen den mittelalterlichen Zustand. Eine rechteckige Nische und die Reste einer Piscina im Altarraum beweisen, daß das Gebäude immer zu Gottesdienstzwecken benutzt worden ist. Durch die Türinschrift von 1412 ist das Baudatum sicher belegt.“R. Tostmann, a.a.O. S. 33

Gewohnheitsmäßig nehme ich meinen Kopf herunter und gehe unter dem Türsturz hindurch, die Jahreszahl 1412 noch vor Augen. Es hat die magische Kraft mancher Kinder-Zauberspiele, hier hindurch zu gehen, wo vor mehr als fünf Jahrhunderten Vorfahren, weit entfernte Verwandte hindurchgegangen sind. Zum Gottesdienst oder um Schutz zu suchen in dem noch immer wehrhaften Gebäude. 

In der kleinen Harkenblecker Ortschronik sucht man ihre Namen vergebens. Doch die Abgaben im Kornregister lassen Rückschlüsse auf die Größe der Höfe zu. Zwei der fünf Höfe mit 120 bis 72 Morgen (1593 Ackerleute) und einen der vier Halbmeierhöfe (50 bis 30 Morgen) von insgesamt 15 Bauernstellen haben wohl die drei Mummenteys besessen. 

Damals muß noch die laute und lange Zeit unbezähmbare Quelle mitten in Harkenbleck gesprudelt sein, der herkenblethe nach der lesenswerten Abhandlung in „Die Ortsnamen des Landkreises Hannover und der Stadt Hannover“ von Ohainski und Udolph seinen Namen verdankt. Bei einem meiner abendlichen Besuche in Harkenbleck sprach ich über den Gartenzaun hinweg einen alten Herrn an, der mit plätschernden Schwall seinen Garten bewässerte. Wir kamen über die alten Höfe im Ortskern und Familiennamen ins Gespräch, das bald munter vor sich hinfloß, während das Wasser aus dem Gartenschlauch, die Ränder einiger Beete hinwegschwemmte, bis auch unsere Unterhaltung eine andere Richtung nahm. Vorher wagte ich nicht, beide Quellen zu unterbrechen.

Im Register der Türkensteuer von 1557 sind die Mummentheys in Harkenbleck nicht mehr geführt, ebenso nicht in der Musterungsrolle von 1585. Vielleicht vertrieb sie eine der vielen Fehden: “1465 greift Friedrich {Turbulentus} erneut Göttingen an und erfährt wiederum, wie wenig er doch vermag: 1466 äschern seine Gegner, vor allem der sächsische Städtebund, die welfischen Amtshöfe in Weende und Harste ein, brennen, nachdem sie Wilhelm d. Ä. den Fehdebrief zugesandt haben, die Dörfer in der Großvogtei Calenberg nieder und zerstören die (Calenberger) Neustadt Hannovers.“ GN Bd. 2,1 a.a. O., S. 799. 

Einen der Harkenblecker Höfe besaß nach dem Kornregister arrasch. Dieser Name ist sonst nur noch in der Kopfsteuerbeschreibung des Hochstifts Hildesheim von 1664 als Areschen erhalten. Der Name Arrasch ist ein Übername, Berufsname oder Herkunftsname und geht auf einen in der Stadt Arras gewebten leichten Wollstoff zurück. Arras liegt in der französischen Landschaft Artois, die auch bekannt ist durch die hier aufgekommenen artesischen Brunnen. Eine historische Kapriole!

Das Telefonbuch für Deutschland, Frühjahr 2000, Ausgabe auf CD verzeichnet vier Anschlüsse mit dem Namen Arrasch, alle in Nordrhein-Westfalen beheimatet. Aus der Anschlußanzahl kann auf ungefähr 12 Namensträger in ganz Deutschland geschlossen werden. 

(Zoder a.a.O., Bd. 1 S. 670 in Ostfalen nicht nachgewiesen )